Le Bal
Auch das Münchner Rundfunkorchester ist unter Ulf Schirmer hier ein geschmeidiger Begleiter und spinnt nach der Pause ein in allen Farben schim- merndes orchestrales Gewebe. Bei Strasnoys 2010 uraufgeführter Vertonung der Erzählung „Le Bal“ von Irène Némirovsky gehen Plot, die großartig nervöse, fein ziselierte Musik mit ihren prägnant charakterisierenden Gesangslinien, Inszenierung und die singenden Schauspieler eine perfekte Symbiose ein: Da ist Antoinette, das kratzbürstige pubertierende Mädchen (herrlich verdruckst: Katharina Ruckgaber), ihre hysterische Mutter Rosine (wunderbar überdreht: Dorothee Koch) und Vater Alfred (virtuos in hoher Tenorlage greinend: Sandro Schmalzl). Das Dienstmädchen Betty (Eleonora Vacchi) lebt ihr Verhältnis mit dem Kellner Georges (Ludwig Mittelhammer) ungezwungen aus. Der titelgebende Ball freilich findet nie statt, obwohl sich das Entrée, das den Tür- Fronten des Prinzregententheaters nachgebaut ist, am Ende weitet zu einer bis an die Brandmauer reichenden, vor- nehm gedeckten Tafel für über 60 Gäste. Denn die störrische Tochter hat die von ihr widerwillig handgeschriebenen Einladungen nicht abgeschickt. So endet der Abend trotz raffinierter Überblendung von Klezmer und Charleston in Frustration und einer Sandwich- Schlacht, bei der einzig die zunehmend angeschickerte Klavierlehrerin (Danae Kontora), die sich nur in Etüden singend äußert, auf ihre Kosten kommt. Klaus Kalchschmid, Süddeutsche Zeitung, 12.11.2012
In eine Anstalt anderer Art führt Oscar Strasnoys Kurzoper “Le Bal”. Das Libretto basiert auf einer Erzählung Irène Némirovskys, doch der Autor könnte auch Thomas Bernhard heißen. Während die Eltern einen großen Ball planen, schmiedet die frühreife Tochter böse Pläne, um die Sache zu boykottieren. Und als alles endlich fertig ist und die Lakaien das Essen bringen – kommt kein einziger Gast! Strasnoy, 1970 in Argentinien geboren, lebte längere Zeit in Paris. Seine Ballmusik amalgamiert Tänze der Zwischen- und Nachkriegszeit, Songs und viel jüdische Musik zu einer Art Operette auf Speed. Immer wieder kommt ein Metronom zum Einsatz, um das Chaos zu bändigen. Zu viel Tohuwabohu könnte ermüden. Doch schnurrt diese Anti-Operette in einem blitzblank polierten Ballsaal mit Lüstern und detailliert gedecktem Tisch wie von selbst ab, und in Wiegands Regie mischen sich wieder komische und tra- gische Elemente aufs allerfeinste.
In guten Händen waren beide Stücke auch bei Ulf Schirmer und dem Münch- ner Rundfunkorchester – besonders schön die vom Konzertflügel luzide begleiteten Donizetti-Rezitative. Aus dem insgesamt starken Ensemble sta- chen die Soprane Sumi Hwang und Dorothee Koch sowie der Bariton Bene- dikt Eder heraus. Eine echte Entdeckung: Danae Kontoras in allen Farben funkelnder Koloratursopran. JÖRN FLORIAN FUCHS, Frankfurt Allgemeine Zeitung, 17.11.2012
Der zweite Teil des Abends zündete dagegen musikalisch wie szenisch: Das Libretto schildert die Vorbereitung einer opulenten Ballfestivität, welche durch das Walten eines bösen Kindes, einer Seelenverwandten der „Infantin“ in Zemlinsky Zwerg, aufs Furioseste scheitert. Hier passt einfach alles: Das genial effektvolle Bühnebild (Bärbl Hohmann, Anika Söhnholz), die anspielungsreiche, irische und jiddische Elemente souve- rän nachempfindende Musik, die rhyth- mische Struktur, die an Bartok, Britten oder Schreker anklingt, die Orchestrie- rung – mit dem Highlight eines im Orchester installierten Gebläses, der witzige und verschwenderisch wortko- mödiantische Text (Mattew Jocelyn) und die mehr als nur achtbare Leistung der Studenten: Dorothee Koch als ent- täuscht um verbleichende Träume kämpfendes Muttermonster, Katharina Ruckgeber als bereits vom Leben gründ- lich verbogene Tochter Antoinette, die alles beherrschenden und die sexuali- sierte Stimmung spiegelnden Domestiken (Eleonora Vacchi und Ludwig Mittelhammer), ja sogar die überraschend in Koloraturperlen aufblühende Klavier- lehrerin (Danae Kontora) – sie alle überzeugen mit souveräner Grandezza in Spiel und Gesang. Ein klarer Sieg nach Punkten für die neue Oper – ein Triumph für den Komponisten Oscar Strasnoy. Sabine Busch-Frank, DONAUKURIER vom 14.11.2012
Then, at last, came Strasnoy’s Le Bal, which positively whizzed by in a brief hour. Based on a story by Iréne Némirovsky we see a crude nouveau riche couple that neglects their teen-daughter—especially the mother, threatened by young Antoinette’s burgeoning sexuality. A floozy of an English tutor is more interested in the sloppy butler than the gal, and the piano teacher more interested in her father (Sandro Schmalzl). A grand dinner and ball is planned, to confirm and convey the couple’s social standing, the menu meticulously planned, and a fancy band ordered. As the clock tick-tocks mockingly into the guest-less silence on the night of the event, Antoinette, forbidden to participate, hides and gleefully observes the creeping disaster. No one shows, except for the voice teacher, because Antoinette didn’t mail the invitations, but destroyed them instead.
When Ulf Schirmer said of Strasnoy’s score that it was “like film music, but whackier”, he was right in the best sense: The music manages to become an integral, elucidating element of the story; adds its humor and wit, awkward silences and—as if to entertain itself during the party—some Charleston and a particularly Klezmer-flavored bit of Mahler. Despite Strasnoy’s modern vernacular, which sent a couple patrons running, I found myself distantly but permanently reminded of Poulenc—which is to say that Strasnoy’s sense for using voices and his comedic timing are impeccable. It might be a (s)light work in the brow-furled world of opera, but its success cannot be diminished by this. I don’t remember many contemporary opera as obviously successful; only L’Amour de loin, The Three Sisters, and Das Gehege, really. Incidentally, the Hamburg Opera, which premiered Le Bal, coupled the work more ambitiously, intriguingly, awfully seriously: with the hard-core one-women shows of Wolfgang Rihm Das Gehege and Schoenberg’s Erwartung. Jens F. Laurson, Seen and Heard International